Die Auferstehung und das leben  -  eine ostergeschichte

Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie es in dem halb verwelkten Strauß vergrub und sich wieder in die Erinnerungen fallen ließ, wie so oft in den letzten Monaten. Wie hatte er nur diese Zeit geliebt, dieses Entstehen von neuem Leben, dieses Licht, dass sich mit einer unglaublichen Kraft den Weg bahnte und diese Erneuerung. Sie hatte seine Freude so sehr genossen. Und dann ließ er sie einfach allein. Verabschiedete sich im Herbst von dieser Welt und sie blieb hier zurück. Überflüssig, sinnlos, ohne Perspektive und ohne Ziel. Er hatte einfach alles mitgenommen. 

Vor einer Woche hatte Veronika diesen herrlichen Frühlingsstrauß vom Markt mitgenommen. Er hatte sie so sehr an ihn erinnert, an seine Freude, die er dem Frühling entgegenbrachte. Sie konnte einfach nicht wiederstehen. Narzissen, Wicken Tulpen – leuchtende Farben „Gute-Laune-Farben“ hatte Klaus sie immer genannt. Und jetzt waren sie verblüht, wie er, wie dieses Leben, das er einfach ausgehaucht hatte. Veronika packte die Blumen, riss sie aus der Vase und schleuderte sie wütend auf den Boden. „Wie konntest du mir das antun!“, schrie sie klammerte sich an dem Stuhl fest, der vor ihr stand. Sie versuchte ruhig zu atmen. Die Psychologin hatte es ihr beigebracht. „Konzentrieren sie sich auf den Atem. Ein und Aus. Ein regelmäßiger Rhythmus.“  Ein absoluter Blödsinn, dachte sich Veronika jetzt und achtete doch darauf. „Ein und Aus.“ Das Telefon klingelte. 

„Meinrad“, meldete sie sich. 

„Mama, bist du es?“ Ihre Tochter Margarete klang merkwürdig aufgekratzt. 

„Natürlich bin ich es – wer sollte sich sonst melden.“ Veronika klang genervt, zermürbt, einfach unleidlich. 

„Mama, du musst unbedingt morgen kommen. Morgen ist doch Ostern. Wir können zusammen in die Kirche gehen und dann hab ich eine Überraschung!“ 

„Ich weiß nicht. Eigentlich hab ich nur Lust es mir hier gemütlich zu machen.“ Veronikas Stimme war aber schon weniger überzeugend.

„Ach komm. Dir fällt doch bestimmt die Decke auf den Kopf. Ich hol dich um Neun ab.“ Peng – Aufgelegt. Sie hatte nicht ansatzweise die Chance zu widersprechen. 

Pünktlich, ihre Tochter eben, stand Margarete am nächsten Morgen vor der Tür. Veronika hatte im Hinblick auf den Kirchgang noch schnell ein Osterlamm gebacken. Schließlich konnte sie ja nicht mit leeren Händen durch das Portal gehen. Seit Klaus Beerdigung war sie nicht mehr dort gewesen. Es hatte zu diesen gemeinsamen Ritualen gehört die sie vermied um ja keine Erinnerungen heraufzubeschwören. Sie war erstaunt über die wohltuende Empfindung die das Gebäude, die Orgelmusik und die Atmosphäre nun in ihr hervorriefen. Es fühlte sich an, als ob sie in einen Hafen eingelaufen wäre und dort vor Anker ging. Margarete sah vorsichtig zu ihr hinüber und drückte fest ihre Hand. 
Gebannt folgte Veronika den Worten des Pfarrers, der Lesung, die sie seit sechzig Jahren zu jedem Osterfest gehört hatte und seiner gefühlvollen Predigt „über das Loslassen“. Er schien sie direkt anzusprechen. 
Angefüllt mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit verließ Veronika an der Seite ihrer Tochter die Kirche und nahm sie fest in die Arme. „Danke, dass du mich herausgelockt hast. Ich hätte nicht gedacht, wie gut es tut unter Menschen zu sein. Und sieh nur wie herrlich die Sonne scheint. Was hast du noch vor? Lass und noch einen Spaziergang am Fluss machen.“  

Margarete lachte. „Du bist wieder da – ich freu mich so. Ich dachte schon, du wirst überhaupt nicht mehr auftauchen. Dabei brauche ich dich grade jetzt so dringend.“  

Veronika blickte ihr forschend ins Gesicht. „Was ist los? Hast du Probleme?“  

„Naja, nicht direkt Probleme, aber man kann ja nie wissen, was herauskommt!“ lächelte sie schelmisch und legte Veronikas Hand vorsichtig auf ihren Bauch.