Der Besuch


Was war denn nur bei Familie Rübsam los? Mama und Papa Rübsam liefen den ganzen Tag durch das Haus, stellten hier etwas um, räumten dort etwas weg. Sie brachten alles, was sich in den letzten Wochen angesammelt hatte, aufgeregt zum Wertstoffhof, schnitten die Büsche im Garten, putzten die Fenster und der Eingangsbereich wurde mit herrlichen Blumen dekoriert. Rübchen musste sein Zimmer aufräumen, und zwar nicht nur solala, wie üblich, sondern so, dass es blitzte und nicht ein Spielzeug oder Kleidungsstück mehr auf dem Boden lag. Irgendwann hatte er die Nase voll davon. Er schien immer gerade an dem Ort im Weg zu stehen, den seine Mama in ihrem Putzwahn als nächstes Ziel anvisiert hatte. Deshalb beschloss er sich zum Hasenspielplatz zu begeben, wo er sicherlich seine Freunde Tüpfel und Schlitzohr antreffen würde.

Seiner Mutter rief er einen kurzen Gruß zu, was sie kaum wahrzunehmen schien, und machte sich pfeifend auf den Weg. Es war nur ein kurzes Stück um die nächste Waldbiegung und gleich darauf konnte er schon das, ihm bekannte, Lachen hören. Dankbar rannte er zu den anderen, die im Bach Tannenzapfen um die Wette schwimmen ließen. Darin war er sehr gut. Er wählte immer die schnittigsten Zapfen aus, die am schnellsten durch die Strömung glitten.

„Bei mir zu Hause ist der Teufel los“, brummte er und ließ einen neuen Zapfen im Wasser flitzen. „Tante Trude kommt morgen und bleibt eine Woche und Mama denkt, sie müsste das Haus porentief reinigen.“ Bei „porentief“ verdrehte er die Augen. „Ich musste mein Zimmer so sehr aufräumen, dass ich jetzt wahrscheinlich nie wieder etwas finden werde.“

„Ist denn deine Tante ein solcher Drachen?“ Tüpfel sah ihn fragend an und ärgerte sich, dass Rübchen es immer wieder schaffte gegen seinen Zapfen zu gewinnen.

„Ne, ich find sie eigentlich ganz o.k., aber Mama denkt immer, sie müsste alles besonders toll machen und dann geht doch was daneben. Letztes Mal hat sie den Kuchen verbrennen lassen und ihr wisst ja, wie toll sie backen kann. Ihre Kuchen sind die besten der Welt.“ Rübchen grinste. „Bin gespannt, was diesmal passiert.“

„Kuchen von Lina Rübsam – das ist wirklich das allerbeste.“ Schlitzohr schnappte sich einen neuen Tannenzapfen. „Sind sie schon fertig? Denkst du wir bekommen auch was davon?“

„Naja – ist nicht sicher ob Tante Trude was übrig lässt. Sie isst nämlich sehr gern.“ Rübchen legte seinen Kopf schief, so dass seine Ohren nach einer Seite herunterhingen. „Wenn man allerdings schneller wäre als sie….“

Schlitzohr ließ sich zurück ins Gras fallen. „Freunde, das kriegen wir hin! Wann kommt sie?“

Es dämmerte und sie mussten unterbrechen. Auch wenn man ihnen viele Freiheiten ließ, so hieß es doch, bei einbrechender Dunkelheit hatten sie zu Hause zu sein. Fröhlich verabschiedeten sie sich und freuten sich innerlich bereits auf die Kuchenschlacht.  

Am nächsten Vormittag kam Tante Trude mit einer riesengroßen, geblümten Reisetasche und einem Korb, aus dem Geschenke spitzelten, vor dem Haus von Familie Rübsam an. Tüpfel und Schlitzohr hatten sich im Wald gegenüber versteckt um einen ersten Eindruck von ihr zu bekommen. Umarmungen wurden verteilt und Mama Rübsam wurde eine Schachtel Pralinen in die Hand gedrückt und mit einem kurzen Nicken inspizierte Tante Trude die Fenster und den Weg zum Haus. „Naja, ganz ordentlich, soweit ich sehen kann.“  Papa Rübsam bekam eine Flasche Wein und Rübchen, ja was war für ihn in dem Korb? Ein Lexikon.

„Der Junge soll ja mal richtig klug werden“, sagte Tante Trude und schien das enttäuschte Gesicht nicht zu bemerken.

„Wir haben’s schon gesehen, Rübchen. Was für eine Pleite. Wer schenkt den sowas? Sie muss noch viel lernen.“ Die Freunde hatten sich am Nachmittag wieder getroffen und planten, wie sie am besten an den Kuchen kommen konnten. Drei leckere Torten hatte Rübchens Mutter gebacken, die es am morgigen Sonntag geben sollte.

 „Und?  Studierst du schon fleißig dein Lexikon?“ Rübchen saß vor dem Haus auf der Bank, das Buch auf dem Schoß, und Tante Trude setzte sich neben ihn. Da sie recht füllig war, musste ihr Enkel ganz an den Rand rücken. „Du wirst sehen, wie klug du bist, wenn du das alles gelernt hast.“ Sie schien sehr mit sich zufrieden zu sein und Rübchen zog es vor nichts dazu zu bemerken.

„Ach Lina, da bist du ja.“ Mama Rübsam kam gerade mit ihrer Einkaufstasche vom Dorf und Tante Trude fing sofort an auf sie einzureden. „Also Lina, so geht das nicht. In meinem Zimmer sind Spinnweben an der Decke, so kann ich nicht schlafen. Und hast du gesehen, dass im Flur lauter Pfotentapser sind. Können deine Männer sich die Füße denn nicht richtig abtreten, bevor sie ins Haus kommen? Das ist sehr nachlässig.“ Sie folgte Rübchens Mutter, die den Wortschwall über sich ergehen ließ, ins Haus und ließ ihren Neffen mit seinem Lehrbuch zurück. Aber der hatte nur auf so einen Moment gewartet und jetzt ganz etwas anderes vor.

 

Schlitzohr und Tüpfel lauerten schon auf der anderen Seite, genau auf Höhe der Vorratskammer, in die Rübchen sich jetzt leise schlich um das Fenster zu öffnen. Nach dem Mittagessen hatte er bereits ein paar Löffel dort versteckt und jetzt schwangen sich seine Freunde behände in den Raum

 

 

 

 

und stießen einen bewundernden Pfiff aus, als sie die Pracht sahen.

„Wow, deine Mutter ist echt ein Genie. Wenn die nur halb so toll schmecken, wie sie aussehen.“ Schlitzohr verdrehte die Augen.

„Aber seid nicht so laut“, mahnte Rübchen. „Sie sind zwar jetzt mit dem Kochen beschäftigt und Tante Trude textet Mama so richtig zu, aber wenn wir nicht aufpassen, dann kann die Schlemmerei schnell zu Ende sein.

Tüpfel hatte es wieder mal nicht erwarten können und sich schon den ersten Löffel in den Mund geschoben. Schokosahne – ein Traum. Kirschtorte gab es noch und Pfirsich. Mal hier, mal dort naschten sie rund herum und stöhnten vor Genuss. Sonst war kein Laut von ihnen zu hören.

„Ein bisschen was müssen wir aber übrig lassen“, sagte Rübchen und schaute sich erschrocken die dürftigen Reste an.

„Warte, wir essen jetzt so rundherum, damit sie wieder ihre Form haben und einfach nur geschrumpft sind. So etwas passiert meiner Mutter beim Waschen auch öfter, warum sollte das nicht auch mit Kuchen geschehen?“ Schlitzohr fing an, die erste Torte wieder in eine, seiner Meinung nach, perfekte Form zu essen und betrachtete zufrieden sein Werk.

„Na was meint ihr? Sieht doch aus, als wäre sie schon immer so gewesen.“

Die Freunde waren sich einig, dass es wirklich kaum auffallen würde, nur dass es eben ganz kleine Mini-Torten waren. Schnell wurden auch die anderen beiden entsprechend zurechtgestutzt und vergnügt und zufrieden rieben sie sich die Bäuche. Es war auch keine Minute zu früh, denn gerade noch hörten sie Schritte, die sich auf die Vorratskammer zu bewegten. Alle drei sprangen sie aus dem Fenster und Rübchen konnte es schnell zuziehen, als sich die Tür öffnete.

Sie lugten vorsichtig durchs Fenster und sahen Tante Trude in der Tür stehen. Ihr Blick ging genau in Richtung der drei Tortenreste.

„Liiiinaaa! Was hast du da nur für zauberhafte Kinderkuchen gebacken. Sehen ja niedlich aus, aber bitte was sollen wir morgen zum Kaffee essen? Das ist bestimmt nicht dein Ernst!“

Mama Rübsam stürzte herein und Rübchen zog es vor sich mit seinen Freunden zurückzuziehen. Weit kamen sie allerdings nicht. Die Stimme von Rübchens Mutter holte sie ganz schnell ein.

„Hiergeblieben – alle drei!“ Oh je – das klang nicht sehr freundlich und die Freunde stoppten und warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Das konnte unangenehm werden.

Sei hoppelten wieder zum Haus und stellten sich vor Mama Rübsam auf, die ihnen plötzlich riesig groß erschien. Dahinter sahen sie die Gestalt von Tante Trude.

„Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“

„Was meinst du denn, Mama?“ Rübchen dachte, dass es doch einen Versuch wert wäre unschuldig zu erscheinen, als er schon eine Hand spürte, die an seinem Ohr zog.

„Du brauchst nichts sagen, wenn du sowieso noch Sahne in den Mundwinkeln hast.“ Lina Rübsam war wütend. „Und was bitte, sollen wir jetzt der Tante zum Kaffee vorsetzen? Soll ich etwa jetzt noch einmal zum Backen anfangen?“

Schlitzohr, Tüpfel und Rübchen wurden immer kleiner und keiner traute sich noch etwas zu sagen. Dann plötzlich hörten sie ein Lachen. Sie blinzelten nach oben und bemerkten Tante Trude auf sie zukommen. Und sie lachte, sie lachte so sehr, dass sie sich den Bauch halten musste. Die Tränen liefen ihr über die Wangen und in einer Hand hielt sie einen der Kuchen.

„Lina, nun schau dir mal dieses Kunstwerk an.“

Rübchens Mutter sah überrascht zu Tante Trude und auf den Tortenrest. Dann fiel ihr Blick auf die zerknirschten Gesichter vor ihr und ihr Mund verzog sich zu einem Schmunzeln. Aus dem Schmunzeln wurde ein Lächeln und aus dem Lächeln ein Lachen.

„Ach Lina“, sagte Tante Trude. „Bei meiner Figur ist es sowieso besser, wenn ich nicht so viel Torte bekomme. Und zumindest kann ich von jeder Geschmacksrichtung probieren.“

„Trotzdem können wir das so nicht durchgehen lassen. Etwas Strafe muss sein.“

Sie hatten sich schon ziemlich sicher gefühlt, die drei Freunde, jetzt sahen sie vorsichtig zu den beiden Frauen, aber auch Tante Trude nickte.

„Lina du hast Recht. Ganz ungeschoren kommen sie nicht davon.“ Sie drehte sich zu ihrem Enkel.

„Ihr werdet jetzt jeder von euch drei Seiten aus dem Lexikon auswendig lernen und uns dann vortragen. Ich hab schon gesehen, wie gut dir das gefällt.“ Sie ging zurück ins Haus und drehte sich in der Türe nochmals um und lachte. „Und das Ganze bis morgen Nachmittag!“

„Mama, müssen wir das wirklich machen?“ Aber von dieser Seite gab es keine Unterstützung.

„Rübchen, wenn deine Tante das sagt, dann wird das so sein.“ Und lachend ging auch Mama Rübsam  wieder ins Haus, während die drei Freunde sich mit dem Buch an den Tisch setzten und sich, wohl oder übel, an die Arbeit machten.

 

 „Aber der Kuchen war echt super!“ Darin waren sich alle einig.