Hasenwettlauf

 

„Pssst, nicht so laut, die Mama darf uns nicht hören!“ Rübchen knabberte aufgeregt an einer Möhre. Seine unterschiedlich langen Haarbüschel standen heute noch verwirrter als sonst ab und er erinnerte mehr an einen Wischmopp als an einen jungen Feldhasen.

Die drei Freunde, Rübchen, Schlitzohr und Tüpfel schlichen auf Pfotenspitzen den Flur entlang, vorbei am Schlafraum der Eltern, und huschten flink zum Ausgang. Sie drehten sich kurz um, aber sie hörten nur das leise Schnarchen von Frau Rübsam und ihrem Mann und hüpften fröhlich aus der Tür.

 „Freiheit!“, rief Tüpfel übermütig und plumpste vor lauter Aufregung über seine Pfoten und auf die Nase. „Autsch!“ er verzog schmerzvoll das Gesicht, aber nachdem Rübchen und Schlitzohr herzhaft lachten, konnte er nicht anders und stimmte mit ein. Tüpfel ging ständig etwas daneben. War ein Loch in der Wiese war, fiel er hinein. Gab es Tomaten zu Mittag, dann war sein weiß-braun getupftes Fell von roten Sprenkeln übersäht. Fiel ein Glas um, ergoss sich der Inhalt über seine Hose.

Aber jetzt machten sie sich auf den Weg über den kleinen Bach und den Kogelberg hinauf, über dessen Spitze der Mond sanft schien. Schemenhaft zeichneten sich dort die Umrisse einer anderen Hasentruppe ab und die drei Freunde wurden langsam.

„Wir machen es so, wie besprochen und lasst euch von denen nicht einschüchtern. Schlitzohr, dessen eingerissenes linkes Ohr sein Markenzeichen war, meinte die Hasengang „Rabbits“, die dort am Gipfel auf sie wartete. Seine Verletzung war das Resultat des Kampfs gegen einen Fuchs, der ihm beim Entkommen mit seinen Krallen diesen Riss hinterlassen hatte. Manchmal träumte er noch davon.

„Die Verlierertruppe ist also wirklich gekommen!“ Lucio, der Anführer der Rabbits baute sich herausfordernd vor Rübchen auf und ließ seine Muskeln unter dem schwarzen Fell spielen. „Du willst dich wirklich mit uns anlegen? Schaut nur, die drei Nesthocker haben sich raus getraut.“

Rübchens Stummel fing an zu zittern und er war froh, dass dieser Kraftprotz es in der Dunkelheit nicht sehen konnte.

Schlitzohr kam ihm zu Hilfe. „Lass uns nicht lange reden – gehen wir’s an!“ Er stellte sich selbstsicher vor Rübchen und Tüpfel in Position.

„Und ihr meint wirklich, dass ihr schneller dort unten am Bach ankommt als wir und damit das Recht auf Krüger’s Rübenacker bekommt? Ihr könnt es euch nochmal überlegen. Wir verstehen, wenn ihr Angst kriegt. Immerhin ist es ein steiler Weg und nachts kann man sich leicht was brechen.“ Lucio schlug einen gönnerhaften Ton an und seine Truppe kicherte im Hintergrund.

„Warum sollten wir kneifen? Ihr habt wohl selber Schiss.“ Diesmal war es Tüpfel, der seinen ganzen Mut zusammen nahm.  

„Ihr wollt es nicht anders. Also los. Alle hierher und Aufstellung an der Kuppe.“ Wieder gab Lucio das Kommando.  Es war eine ungleiche Gruppe. Die vier Rabbits waren stattliche, durchtrainierte Burschen gegen die Rübchen, Schlitzohr und Tüpfel wie Zwerge wirkten.

„Und los“, kam der laute Ruf. Die Rabbits sprangen den Berg blitzschnell hinunter. Sie waren ganz klar vorn.

Doch was war das? Die drei Freunde zogen ihre Hinterbeine nach vorn und umklammerten sie mit den Vorderpfoten. Den Kopf zogen sie ganz tief auf die Brust und verwandelten sich zu drei kleinen Fellknäueln. Und dann ging es los. Wie Bälle kullerten sie den Berg hinunter.

In einer irrwitzigen Geschwindigkeit sausten sie vorbei an ihren Gegnern, die verdutzt aufblickten und den Knäueln nachblickten.  

Mit einer Siegermine sahen sie ihnen unten entgegen. „Was sagt ihr nun“, lachte Schlitzohr. „Nur Muckis allein genügt halt nicht, da oben sollte man es schon auch haben“, tippte er sich herablassend an die Stirn.

Die Rabbits waren so fassungslos, dass sie kein Wort mehr herausbrachten und wollten schon gehen.

„Heh, nun lasst euch doch nicht so hängen!“, schrie Rübchen ihnen nach. „Das Feld ist doch groß genug für uns alle. Wir müssen die Nacht noch genießen, machen wir Party!“

Die Rabbits blickten sich vorsichtig um, doch die drei Freunde winkten ihnen gutmütig zu. Und so genossen alle zusammen fröhlich die Früchte von Krüger’s Rübenacker.